Karl Denke

"Papa Denke"

geb. 1870, gest. 1924

Land: Deutschland

aktiver Zeitraum: 1903 - 1924

Morde: 31

Denke, Karl

An einem Sonntag, dem 21. Dezember 1924, wanderte der arbeits- und wohnungslose Steinhauer Vincenz Olivier durch die schlesische Kleinstadt Münsterberg in Schlesien. Er klingelte an den Türen und bat um etwas Geld oder auch um etwas zu essen. Hier und da bekam er eine Kleinigkeit zugesteckt, aber den meisten Menschen ging es in diesen Jahren der Armut und des Hungers selbst viel zu schlecht, um auch nur eine Kleinigkeit entbehren zu können. Nachdem ihm eine freundliche Passantin zwei Groschen zugesteckt hatte, verwies sie ihn an einen Mann in der Teichstraße Nr. 10 am Rande des Städtchens. Papa Denke sei ein guter Mann, erklärte sie Olivier. Selber arm, aber immer bereit, zu geben. Dort solle er es ruhig einmal versuchen. Olivier zögerte nicht, machte sich voller Hoffnung auf den Weg und klopfte kurz darauf an Karl Denkes Tür.

Ein kleiner kräftiger Mann mit gepflegtem Schnurbart, etwa sechzig Jahre alt, das schüttere Haar ergraut, öffnete ihm die Wohnung, hörte sich sein Anliegen an und bat ihn sogleich mit einem liebenswürdigen Lächeln hinein. Er sitze gerade am Mittagstisch, und der Herr möge sich doch zu ihm setzen und mit ihm speisen. Ob ihm denn gepökeltes oder vielleicht doch gekochtes Fleisch lieber sei, wurde Olivier noch von dem netten Herrn gefragt. Man kann sich seine Überraschung und Vorfreude wohl vorstellen, wenn man bedenkt, dass ein Kilo Fleisch in den Zeiten der grenzenlosen Inflation mindestens eine Milliarde Mark kostete. Nachdem die beiden ausgiebig gespeist hatten, bat Denke seinen Gast um einen kleinen Gefallen. Er habe einen Brief zu schreiben, was ihm aufgrund seines Gelenkrheumas aber leider sehr schwer falle. Wenn er ihm diktieren dürfe, vielleicht wäre der Herr so nett...

Olivier erklärte sich gerne bereit, schob den Teller beiseite, und Denke reichte ihm Papier und Bleistift und lief hinter seinem Rücken auf und ab, offensichtlich auf der Suche nach den richtigen Worten. „Adolf, du dicker Wanst...“, begann er schließlich, und Olivier konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Er vermutete einen Scherz, drehte sich um und bekam so gerade noch rechtzeitig mit, wie eine Spitzhacke auf ihn niedersauste. Er riss den Kopf zur Seite, wurde schmerzhaft an der Schläfe getroffen, sprang auf und riss Denke die Hacke aus der Hand. Dann rannte er in Panik zur Tür, Denke versuchte ihn festzuhalten, wollte ihm die Hacke wieder abnehmen, aber da hatte Olivier die Tür schon geöffnet und schrie aus vollem Hals um Hilfe.

Zwei junge Männer, die im Treppenhaus unterwegs waren, eilten herbei, woraufhin sich Denke in seine Wohnung zurückzog und die Tür hinter sich schloss. Befragt, was denn los sei, antwortete der völlig verwirrte Olivier, der alte Mann habe ihn umbringen wollen. Er zeigte ihnen die Spitzhacke, dann auch das Blut an seinem Kopf, aber es nützte nichts, die Männer glaubten ihm kein Wort. Papa Denke sei ein braver Mann, der tue doch keiner Fliege etwas zuleide. Aber Olivier blieb stur, und schließlich erklärten sich die beiden bereit, ihm in Denkes Wohnung zu folgen, um die Sache aufzuklären. Karl Denke aber war vorbereitet. Er habe den Bettler verköstigt, und der habe ihn zum Dank bestehlen wollen, behauptete er. So habe er sich mit der Hacke zur Wehr setzen müssen.

Die Geschichte schien den Männern plausibel. Sie packten Vincenz Olivier an den Armen und zerrten ihn zur örtlichen Polizeistation. Auch dort wurde ihm keinerlei Glauben geschenkt. Papa Denke sei ein anständiger Bürger, der sich noch nie etwas habe zuschulden kommen lassen. Am nächsten Tag wurde Vincenz Olivier vor Gericht gestellt und wegen Bettelns und Landstreicherei angeklagt. Er wehrte sich verzweifelt gegen eine Verurteilung, beteuerte immer wieder seine vollkommene Unschuld, und schließlich gelang es ihm, den Richter zu überzeugen.

Karl Denke wurde verhaftet. Während die Polizei noch damit beschäftigt war, seine Wohnung zu durchsuchen, fand man Karl Denke nur wenige Stunden nach seiner Festnahme tot in seiner Zelle auf. Er hatte sich aus seinen Hosenträgern eine Schlinge geknüpft und sich am Fenstergitter erhängt. So blieb es ihm erspart, mit den grausigen Funden in seiner Wohnung konfrontiert zu werden.

Was die Beamten dort entdecken mussten, waren mehrere Fässer voller gepökeltem Fleisch. In anderen Kübeln war das noch rohe Fleisch als die Brust und das Gesäß eines Mannes zu erkennen, in verschiedenen Töpfen schwamm Fett. Dazu wurde ein Beil gefunden und eine Säge, mehrere Fleischmesser, eine Waage, etliche Kleidungsstücke unterschiedlicher Größe, verschiedene Ausweise von Wanderarbeitern und registrierten Bettlern und schließlich ein Notizbuch, in dem Karl Denke insgesamt dreißig Mordtaten penibel mit Tatzeiten, Namen, Berufen, Geburtsdaten und Gewicht der Opfer notiert hatte. In zwei Blechbüchsen fanden sich 420 menschliche Zähne.

Der herbeigerufene Mediziner stellte zweifelsfrei fest, dass es sich bei dem gefundenen Fleisch ausnahmslos um Menschenfleisch handelte. Insgesamt 480 männliche Körperteile, ausgekochte Knochen, Rippen und Schädel wurden entdeckt, und plötzlich fanden sich sehr schnell mehrere Einwohner Münsterbergs, denen schon seit längerem aufgefallen war, dass der als armer, aber doch als rechtschaffener Bürger geltende Karl Denke, nicht nur Unmengen von Fleisch zu sich genommen, sondern auch des öfteren Eimer voller Blut in den Gully geschüttet und immer wieder riesige Fleischmengen in den Schuppen hinter dem Haus getragen habe. Und das in jenen schlechten Zeiten der Wirtschaftskrise, in denen sich die meisten Menschen überhaupt kein Fleisch mehr leisten konnten. Auch sei des Öfteren dieser ekelerregende Aasgeruch aus Denkes Fenstern gedrungen, und einer seiner Nachbarn behauptete nun plötzlich, Denke habe einmal versucht ihn zu erwürgen.

Die Beweislage lies keinen anderen Schluss zu, als dass Denke mindestens dreißig Männer verschiedensten Alters ermordet, zerstückelt und zum großen Teil gekocht und selber verzehrt, beziehungsweise seinen Gästen aufgetischt hatte.

Karl Denke wurde als der dritte Sohn einer Bauernfamilie geboren und wuchs in geordneten Familienverhältnissen auf. Von äußerst niedriger Intelligenz hatte er große Schwierigkeiten sich zu artikulieren und wurde nicht nur von seinen Mitschülern, sondern auch von seinen Lehrern verspottet und gedemütigt. So hasste er die Schule verständlicherweise, zog sich mehr und mehr in sich selbst zurück, wurde zum wortkargen Außenseiter mit ausgeprägten autistischen Zügen. An eine Berufsausbildung war nicht zu denken, und so half er nach nur wenigen Schuljahren im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern aus. Nachdem Vater und Mutter innerhalb kurzer Zeit verstorben waren, lebte er für eine Weile bei seinen Geschwistern, die wenig Verständnis für den „Idioten“ aufbrachten und schließlich erfolglose Anstrengungen unternahmen, ihn entmündigen zu lassen. Nun endgültig vereinsamt, bezog er die Einzimmerwohnung in der Teichstraße, lebte vom Körbeflechten und erwarb sich den Ruf eines fleißigen zurückhaltenden Mannes, den man niemals wütend erlebte, sondern der vielmehr als gutmütig und jederzeit hilfsbereit galt. Wenn man über ihn spottete, dann allein wegen seiner ungeheuren Fresssucht, die mit einem vollkommenen Mangel an menschlicher Zuwendung durchaus zu erklären wäre.

Wie dieser Mann aber zum Kannibalen werden konnte, darüber hat sich eine ganze Reihe von Psychologen den Kopf zerbrochen. So vermutete Dr. Pietrusky in Karl Denke einen debilen Psychopathen, den sexuelle Perversion zum Mörder habe werden lassen. Als Beleg für seine These führte er an, dass man konservierte Brustwarzen und Genitalien bei ihm gefunden hatte, und beendete seinen ausführlichen Kommentar mit den Worten: „Hier der duldsame, friedfertige gutmütige alte Sonderling, dort die mordgierige Bestie... Nach allem aber werden wir in Denke nicht das verabscheuungswürdige Ungeheuer sehen müssen, sondern einen Unglücklichen, der nach ehernen Gesetzen seines Daseins Kreise vollenden musste.“


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